Alle reden vom Geld

Die Armen werden immer ärmer und die Reichen immer reicher

von Jörg Andrees Elten

Im vergangenen Jahr haben wir als Konsumenten nur eine schwache Leistung gebracht. Wir hätten im patriotischen Weihnachtskaufrausch die Wirtschaft ankurbeln sollen. Stattdessen haben wir unser Geld – so wir überhaupt was übrig hatten – lieber aufs schlecht verzinste Sparkonto geschoben.

Aber nun haben wir eine zweite Chance. In Berlin wurde endlich die Steuerentlastung 2004 beschlossen. Wir sollen also mehr Geld auf die Hand kriegen und der Wirtschaft damit einen ordentlichen Schub geben. Mein Steuerberater meint, ich würde im Jahr 2004 etwa 200 Euro mehr in der Tasche haben.

Viel ist das wahrlich nicht. Und ehrlich gesagt, habe ich auch keine große Lust, meine Kauflust in den Dienst der Konjunktur zu stellen. Erst neulich ging ich zu Aldi, um ein Kilo Bananen zu kaufen – und kam mit einer Micro-Stereo-Anlage wieder heraus. Schnäppchenpreis. Unwiderstehlich! Dringend gebraucht wird sie freilich nicht.

Ich bin kein Wirtschaftsexperte – aber so viel weiß ich: Als Frau Maischberger den Bundesfinanzminister Eichel bat, die Billionenziffer der Staatsverschuldung mit Kreide auf eine Tafel zu schreiben, kam er mit den Nullen nicht zurecht. Die Summe war für ihn einfach zu gigantisch. Trotzdem sollen schon wieder neue Schulden gemacht werden: Fünf Milliarden für die Finanzierung der Steuerentlastung 2004. Eines Tages wird mein armer Enkel Livio 66 Euro dafür zahlen müssen, dass ich im Jahr 2004 von der Regierung ein Steuergeschenk von 200 Euro angenommen habe. Wie soll ich ihm das erklären?

Wenn die Schuldenmacherei bei uns so weiter geht, wollen die Währungshüter der Europäischen Gemeinschaft von Deutschland eine Konventionalstrafe in Milliardenhöhe einziehen. Das wäre für unsere Politiker sehr blamabel. Und siehe da: plötzlich verkünden sie, dass es absolut verwerflich sei, unseren Wohlstand auf Kosten unserer Nachkommen zu finanzieren.

Sparen ist angesagt. Nicht auf breiter Front natürlich. Nicht bei den Mitgliedern der stärksten Interessenverbände, nicht bei der Pharmaindustrie, sondern bei den Patienten, nicht bei den Top-Managern mächtiger Konzerne und den Erben großer Privatvermögen, sondern bei Rentnern, Langzeitarbeitslosen, Behinderten und allein erziehenden Müttern.

Mein Steuerberater kommentiert trocken: „Einsparungen in zweistelliger Milliardenhöhe kann man nur auf dem Buckel der kleinen Leute durchziehen. Das war schon immer so, weil es eben anders gar nicht geht. Nur das Kleinvieh macht den großen Mist!“

Und was ist mit den Millionären? Mein Steuerberater winkt ab. „Ach was, die sind doch nur ein paar tausend. Du kannst sie natürlich zur Kasse bitten bis zum geht nicht mehr. Das Volk würde jubeln. Aber unterm Strich käme dabei verhältnismäßig wenig heraus. Der Aufwand stünde in keinem Verhältnis zum Ergebnis“.

Ob das Kleinvieh sich das lange gefallen lassen wird? Noch sitzen die kleinen Leute auf der Fernsehcouch und lassen sich von Günter Jauchs „Wer wird Millionär?“ in Trance versetzen. Aber langsam baut sich im sozialern Dampfkocher der Druck auf. Wehe, wenn das Kleinvieh aus der Hypnose erwacht und der Kessel explodiert! Wollen die Politiker wirklich warten, bis der Mob sie an Straßenlaternen aufhängt?  

Immer mehr Menschen haben den Eindruck, dass die Politiker sich vom Volk entfernt haben und nur noch die Geschäfte der Interessenverbände besorgen. Die parlamentarische Demokratie gleitet in eine Existenzkrise. Wenn sie zu schwach ist, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, wird sie im Chaos untergehen.

Soziale Gerechtigkeit ist ohne massiven Abbau von Subventionen nicht zu finanzieren. Dabei geht es vor allem um die großzügigen Geschenke für die Klienten starker Interessengruppen. Erst wenn es die nicht mehr gibt, dürfen wir vermuten, dass die Kungelei zwischen Politikern und Lobbyisten nicht mehr so reibungslos funktioniert.   

Die Nagelprobe werden die Subventionen für die Landwirte sein. Ich wohne auf dem Land und weiß, dass die Landwirte nicht auf mein Geld angewiesen sind. Mein Freund, Großbauer Ludwig, zum Beispiel fährt BMW, macht mit seiner netten Frau Urlaub in der Karibik und fliegt sogar gerne zur Bärenjagd nach Russland. Erst kürzlich hat er mir gesagt: „Wegen mir können sie die Subventionen sofort streichen. Ich habe echt keinen Bock mehr darauf, dass die Leute mich anmachen, weil ich angeblich Geld vom Staat schnorre.“

Wenn Ludwig zum Beispiel Zuckerrüben anbaut, kriegt er Geld vom Staat. Mit der Subvention für den Zuckerrübenanbau bedienen die Politiker gleich zwei starke Interessengruppen – die Landwirte und die Getränkeindustrie, die als Zuckergroßverbraucher an niedrigen Zuckerpreisen interessiert ist.

Der eigentliche Skandal besteht jedoch darin, dass die Subventionen für den Zuckerrübenanbau Millionen von Bauern und Landarbeitern in armen Entwicklungsländern ins Elend treiben. Als ich Ludwig das erzähle, fällt er aus allen Wolken: „Was ist denn das für'n Scheiß?“

Der Skandal beschränkt sich nicht nur auf die Zucker-Subventionen. Die reichen Industrieländer – allen voran Deutschland, die USA und Frankreich- schenken ihren Landwirten rund 360 Milliarden Euro pro Jahr – also jeden Tag eine Milliarde Euro! Dank dieser gigantischen Subventionen können sie ihren Zucker, ihre Baumwolle, ihren Mais und viele andere Produkte zu Dumpingpreisen auf dem Weltmarkt verkaufen. Die Folge: Millionen von Bauern in den Entwicklungsländern werden systematisch vom Weltmarkt verdrängt. Sie können einfach nicht mithalten. Sie geben auf, ziehen vom Land in die Städte und verelenden in den Slums.

Die „New York Times“ spricht von der „offensichtlichen Scheinheiligkeit“ mit der reiche Länder Dumping und Protektionismus subventionieren, während sie gleichzeitig den armen Ländern die Werte eines freien Welthandels anpreisen.

Dass die meisten Menschen in den Industrieländern von diesem Skandal gar nichts wissen, macht ihn besonders gefährlich. Die Materie ist kompliziert. Die Medien berichten darüber nur, wenn ATTAC -Aktivisten die Tagungen der Welthandels-Organisation (WTO) mit Straßendemonstrationen stören. Aber nur wenige wissen, warum es eigentlich geht. Niemand regt sich auf.

So wächst die Verzweiflung in den armen Ländern. Seit vielen Jahren protestieren sie gegen den unfairen Verdrängungswettbewerb. Ohne Erfolg. Erst im vorigen Jahr – auf der letzten Tagung der WTO in Cancun (Mexiko) – wurden die Delegierten der Dritten Welt wieder einmal von den Vertretern der reichen Industrienationen gnadenlos abgeschmettert. Das Dumping geht weiter – das Elend der Ärmsten wird größer.

Die International Labour Organisation hat kürzlich verlautbart, dass sich die Kluft zwischen den 20% der reichsten und den 20% der ärmsten Menschen in der Welt in 40 Jahren (1960 -1999) mehr als verdoppelt habe. Und der Trend setze sich verstärkt fort.

Wenn wir den Zustand der Welt durch die Globalisierungsbrille betrachten, sehen wir uns – die Deutschen – eindeutig in der exklusiven Gesellschaft der Superreichen. Unsere Sozialhilfeempfänger werden das nicht gerne hören, aber Tatsache ist, dass es wahnsinnig viel Geld in Deutschland gibt. Es ist nur ungerecht verteilt.

Die Deutschen haben also eine doppelte Aufgabe. Einerseits müssen sie die soziale Schieflage im eigenen Land ins Lot bringen und andererseits müssen sie die Armut in der Welt schärfer bekämpfen, um das globale Ungleichgewicht zwischen den Armen und den Reichen abzubauen. In unserer vernetzten Welt hängt jeder mit jedem und alles mit allem zusammen. Ein hungerndes Kind in Lateinamerika sollte uns genau so nahe sein, wie ein armes Kind in Deutschland. Solange es Elend in der Welt gibt, kann es uns nicht wirklich gut gehen – jedenfalls nicht lange.

Ob wir es wollen oder nicht – wir müssen freiwillig verzichten lernen. Allerdings nicht, um damit unsere Reichen immer reicher zu machen, sondern um den Ärmsten der Welt wenigstens die Chance zu geben, dass sie ihre Produkte zu einem fairen Preis an uns verkaufen können.

Es geht hier nicht nur um Fair Play und Moral. Die wachsende Armut in vielen Teilen der Welt ist auch eine ganz reale Bedrohung. Der Aufstand der Habenichtse gegen die Satten hat schon begonnen. Religiöse Fanatiker schüren unter den Armen und Zukunftslosen den Hass auf die Reichen. Und gegen Selbstmordattentäter können Flugzeugträger, Kampfhubschrauber, Düsenbomber und Marschflugkörper nichts ausrichten. Soziale Gerechtigkeit ist unser bester Schutz.  

© Jörg Andrees Elten