Der Meister ist immer auf Sendung

Wie sich Sannyasins, die Osho nie persönlich erlebt haben, mit ihm verbinden

Yvonne arbeitete in einem Berliner Luxusversandhaus für reiche Leute, die schon alles haben und nicht wissen, was sie anderen reichen Leuten, die schon alles haben, schenken sollen. Vielleicht eine handgeschmiedete Kaminzange für 430 Euro? Oder ein hübsches Pfeifenetui für 350 Euro? Obwohl ihr Job sicher und die Arbeitsbedingungen nicht schlecht waren, fühlte sich Yvonne nicht wohl in diesem exotischen Konsumparadies.
Neulich schrieb sie mir eine E-Mail: „Ich bin gesprungen!! Die Arbeit an der Front der Kollektivneurose ist vorbei. Ich fühle mich frei und die Abfindung gibt mir Zeit bis Ende April. Mein Kompass steht gen Osten – Indien! Wie siehst Du die Meister-Schüler Beziehung für Neu-Sannyasins, die dem Meister nie persönlich in die Augen schauen konnten? Ich habe gehört, dass man inzwischen Sannyas via Internet nehmen kann. Das macht mich doch etwas stutzig. Oder spricht da nur mein Verstand und nicht mein Herz??“

Ich war berührt von diesem Brief. Ist es nicht geradezu wunderbar, wenn Menschen, die auf der Suche sind, sich plötzlich in Osho verlieben, 17 Jahre nachdem er seinen Körper verlassen hat? Hätte ich das auch gekonnt? Wahrscheinlich nicht. Denn ich brauchte die unmittelbare Ausstrahlung und war total auf Oshos Person fixiert. Als ich vor 30 Jahren als Journalist nach Pune kam, hätte ich ihn am liebsten bei einer Tasse Tee interviewt, oder bei einem Spaziergang im Garten. Schön wäre es auch gewesen, wenn er mich zu einer Spritztour in sein Auto eingeladen hätte. Es kam aber alles ganz anders. Ehe ich mich versah, hängte Osho mir eine Mala um den Hals und gab mir den Namen Satyananda. Ich flog mit dem Gefühl nach Deutschland zurück, den Freund meines Lebens gefunden zu haben.
Als ich ein Jahr später nach Pune zurückkehrte und in den Ashram eintrat, wäre ich gerne ins Lao Tzu Haus eingezogen, wo Osho mit ein paar Sannyasins wohnte. Und bei seinen Vorträgen wollte ich erste Reihe Mitte sitzen. Aber schon bald nach meiner Ankunft würdigte mich Osho praktisch keines Blickes mehr.

War ich enttäuscht und gekränkt? Durchaus – aber nicht lange. Denn schon bald begriff ich, dass der Meister mich auf eine andere Beziehungsebene bringen wollte. Offensichtlich sollte ich mich ihm nicht auf der Suche nach persönlicher Zuwendung nähern, sondern mich stattdessen mit seiner Präsenz verbinden, mit seiner Bewusstseinsenergie, seiner Weisheit oder wie immer man es nennen will. Auf dieser spirituellen Beziehungsebene gibt es keine privaten Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche. Sie ist sozusagen die Arbeitsebene, auf der sich Meister und Schüler begegnen.
Ich habe mit einigen Sannyasins gesprochen, die Osho nicht mehr persönlich erlebt haben. Was hat sie dazu bewogen, Sannyas zu nehmen? Die Antworten sind so verschieden wie die Umstände, unter denen sie mit Osho in Kontakt gekommen sind. Swami Shadab, zum Beispiel, aufgewachsen in Georgien und heute in München als Informatiker bei einer internationalen Telefongesellschaft tätig. Er hatte die Gehirnwäsche der sowjetischen Staatsjugend hinter sich, als ihm vor 15 Jahren das erste Osho-Buch in die Hand fiel. Es schlug wie ein Blitz ein. Shadab: „Du bist frei. Du kannst tun, was du willst, wenn du es nur bewusst tust. Das war Oshos Botschaft. Sie war sooo neu für uns! Die pure Rebellion! Und es war klar: Osho ist mein Meister.“
Die Biologin Ratna kam über Begegnungen mit Sannyasins zu Osho, die sie zum Teil gar nicht als Sannyasins erkannte. „An allen wichtigen Wendepunkten in meinem bisherigen Leben waren sie zur Stelle, lehrten oder stützten mich. Als mir das zum ersten Mal so richtig klar wurde, überkam mich eine tiefe Dankbarkeit, und ich fing an Osho-Bücher zu lesen.“

Swami Anunada, EDV-Spezialist in Berlin, erinnert sich: „Mein bester Freund hatte einen Freund, der Sannyasin war. Eines Tages besuchten wir den. Als er die Tür aufmachte, sah ich ein Bild, und es war, als hätte mich der Donner gerührt. Es war ein Bild von Osho.“ Von da an begegnete Anunada Osho überall. Plötzlich sah er, wie viele Sannyasins in Berlin herumliefen. Einmal kam er zu Bekannten ins Haus. Der Fernseher war gerade eingeschaltet. Und Osho erschien mit gefalteten Händen vor dem Gesicht auf dem Bildschirm. Anunada kam es so vor, als ob Osho ganz speziell ihn mit einem strahlenden Namaste begrüßte. „Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Wenn die Zeit gekommen ist, drängt einen die Existenz mit derartiger Eindringlichkeit in die entsprechende Richtung, dass man sich einfach nicht entziehen kann.“
Das ist auch Gitamas Erfahrung. Als die Russisch-Dolmetscherin vor 15 Jahren vom Erfolgsstress total erschöpft in einen Abgrund von Depression und Sinnlosigkeit stürzte und schon im Begriff war Schluss zu machen, kam ein Freund vorbei und brachte ihr das Buch „Ganz entspannt im Hier und Jetzt“ mit. Ein paar Tage später meldete sich Gitama im Kölner Osho Center zu ihrer ersten Selbsterfahrungsgruppe an. Es war so, als hätte ihr Osho zu einer Wiedergeburt verholfen.
Die Frage, ob sie es bedaure, dass sie mit Osho nicht in Pune gelebt habe, beantwortet Gitama ohne Zögern: „Nein, überhaupt nicht! Ich finde es sogar ganz gut. Denn ich hätte wahrscheinlich mein Glücksgefühl ständig davon abhängig gemacht, ob er mich beachtet, mir ein Lächeln schenkt, ob ich bei seinen Vorträgen vorne sitzen darf, und so weiter und so fort. Das Bedürfnis, ihm als Person nahe zu sein, kann ich gut nachvollziehen, aber mich hätte es vom Wesentlichen eher abgelenkt – und das Wesentliche ist für mich die spirituelle Verbindung.“
Ratna wäre Osho gerne begegnet, aber sie fragt sich etwas schüchtern, ob sie sich „vor der Intensität einer Begegnung“ nicht gefürchtet hätte. Shadab, der Georgier mit der breiten Seele, bekennt dagegen offenherzig: „Manchmal weine ich, weil ich Osho nicht gesehen habe!“ Und Anunada sagt: „Ich finde es schade, dass ich ihm nie begegnet bin, aber ich finde es nicht schade, dass ich ihn nicht mit dummen Fragen belästigt habe.“
Wie Gitama findet auch Anunada, dass es für ihn vielleicht ganz gut war, nicht in Oshos physischer Nähe gelebt zu haben. So habe er gelernt, sich mit Osho in seinem Zentrum zu verbinden und von dort die Antwort auf die Fragen abzurufen, die er „im Stillen formuliert“. Aber er gibt zu: „Ich hätte gerne einmal in seiner physischen Gegenwart einfach mit ihm geschwiegen.“

Und wie sieht die Beziehung zu Osho im Hier und Jetzt aus? „Es ist wie ein Wunder“, sagt Gitama, „wenn ich eine Osho-Lecture in den Rekorder schiebe und er über Themen spricht, die mir gerade besonders am Herzen liegen. Das passiert immer wieder, und ich brauche darüber nicht nachzudenken.“ Shadab ist die Frage zu intim. Und so sagt er nur so viel: „Osho ist immer da.“ Das empfindet auch Ratna: „Osho ist präsent. In meiner Arbeit und in meinen Beziehungen. Natürlich vergesse ich das auch manchmal, aber nicht-bewusstes Handeln macht mich so unglücklich, dass der Weg bald wieder zu Osho zurückführt.“
Anunada hat keinen Zweifel, dass Osho auf vielen Ebenen gearbeitet hat, die sich zu seinen Lebzeiten der Wahrnehmung entzogen haben. „Meine Arbeit besteht vor allem darin“, sagt Anunada, „die Saat ans Tageslicht zu bringen, die er damals auch in mir ausgesät hat. Manche Blätter dieser Pflanze kann ich schon sehen, andere werden vielleicht kommen, wenn die Zeit reif dafür ist. Ich glaube jedenfalls, dass Osho uns alles mitgegeben hat, was wir brauchen. Manches davon tritt erst in Erscheinung, wenn die Umstände es sozusagen hervorkitzeln. So wächst die Demut und die Dankbarkeit gegenüber dem Meister mit den Jahren und sein Platz im Herzen verblasst nicht.“

So gesehen erscheint die Frage, in welcher Form heutzutage Sannyas genommen wird, eher nebensächlich. So schrieb ich an Yvonne: „Meines Wissens gibt es in Pune niemanden mehr, der Sannyasnamen verteilt. Das ist auch gut so. Denn Sannyas ist allein eine Sache zwischen Meister und Schüler – ein Mittelsmann oder eine Mittelsfrau wird nicht gebraucht. Vielleicht solltest du dich einfach hinsetzen, nach innen gehen und Osho fragen: …šWelchen Namen gibst du mir?…˜ Für diejenigen, die sich mit Osho verbinden wollen, ist der Meister doch ständig präsent. Wie eine Radiostation ist er rund um die Uhr auf Sendung. Du brauchst dich nur auf seine Wellenlänge einzutunen und auf Empfang zu schalten. Die Antwort kommt bestimmt.“