Die Dynamische Meditation

Seelenmassage für rastlose Aktivisten

Die ersten 45 Minuten gingen noch ganz gut. Ich hockte auf einem kleinen Meditationsschemel – Knie auf dem spiegelblanken Parkett, das Kreuz gerade, die Schultern locker herabhängend, die Augen geschlossen und beobachtete meinen Atem. Buddhistisches „Retreat“ – eine Mischung aus Tempel und komfortablem Sporthotel an der amerikanischen Ostküste. Der Meditationsraum war mit goldenen Ornamenten und weinroten Seidentapeten verziert. Wir waren etwa 50 Leute, Anhänger des Tibeters Shögyan Trungpa Rinpoche und Laien, so wie ich.

Ein wohltönender Gong schickte feierliche Schwingungen durch den Raum – die zweite Runde begann: 45 Minuten sitzen, 15 Minuten im Zeitlupentempo Schritt für Schritt im Kreis gehen.

Ich war hochmotiviert, denn ich wollte über den tibetischen „Erleuchteten“ eine Reportage schreiben. Er war freilich verspätet, und so nahm ich erst mal an den Meditationen teil. Meditation kann nicht schaden, dachte ich, aber es wurde ein harter Job daraus. In der zweiten Runde verkrampfte sich schon nach wenigen Minuten mein Kreuz. Die Beine schliefen ein, die Gelenke schmerzten. Hinter meiner schweißnassen Stirn tobte nur noch ein Gedanke: „Wie viele Minuten noch?“

Endlich wieder der Gong. Die zweite Runde war vorbei. Das Zeitlupen-Gehen im Kreis empfand ich als eine Wohltat, obwohl es scharfe Konzentration verlangte und auch nicht gerade mühelos war. Dann die dritte Runde… Als sie vorbei war, wäre ich beinahe vom Meditationshocker gefallen. Und die Sache nahm kein Ende. Das Mittagessen, eine Miso-Suppe, ein paar Löffel Reis und gedünstetes Gemüse, wurde uns von schweigsamen Mönchen auf Basttabletts vor den Schemel serviert. Wir aßen „mit Bewusstheit“. Tiefes Schweigen. Nach 15 Minuten wurden die Tabletts wieder eingesammelt. Dann der Gong zur vierten Runde.

In der siebten Runde warf ich das Handtuch. Ich kam mir wie ein Versager vor.

Damals hatte ich von Meditation keine Ahnung. Der Reporter, der es gewöhnt war, auf der Überholspur zu hecheln, hielt Meditation für leicht spinnert, gelinde gesagt. Wer hätte gedacht, dass ich schon ein paar Jahre später selber regelmäßig meditieren würde?

Was damals im Westen noch eine Marotte von Individualisten zu sein schien, ist inzwischen zum Trend geworden. Meditation ist „in“.

Fast überall wird heute meditiert – in Fitness-Zentren, in Intensiv-Workshops für Krebs- und Herzkranke, in psychotherapeutischen Gruppen, in Manager-Seminaren, in Reha-Institutionen für Drogensüchtige, in buddhistischen Retreats, im Club Mediterrane auf Bali, in Spezialkursen für Autobusfahrer der Stockholmer Verkehrsbetriebe, sogar in katholischen Klöstern. Aber oft kommt es bei der Meditation gar nicht zur Meditation, denn Meditation ist totale Entspannung. Meditation kann man nicht erzwingen. Sie ereignet sich – oder auch nicht.

Wo immer Anfänger versuchen, unter extremen Bedingungen alte Meditationstechniken wie die „Vipassana“ zu praktizieren, kann Meditation leicht zum Krampf werden. Ich hatte damals in dem buddhistischen Retreat mit der Vipassana-Meditation Bekanntschaft gemacht. Das war so, als wenn sich ein australischer Aborigine ans Steuer eines Porsche setzt. Er hat sich bisher nie schneller als im Schrittempo bewegt, er weiß nicht, was hundert Sachen sind, er tritt aufs Gaspedal und erschreckt sich zu Tode.

Umgekehrt können Novizen der Meditation – gestresst, stets unter Termindruck und von vielfältigen Ängsten geplagt – nicht stundenlang mit geradem Rücken auf dem Boden sitzen, die Augen schließen, die Aufmerksamkeit auf die Nasenspitze richten, den Atem beobachten und ganz relaxt nach innen gehen.

Vipassana und all die anderen traditionellen Meditationstechniken, die aus dem Osten zu uns gekommen sind, wurden für einen Menschentyp entwickelt, den es nicht mehr gibt. Kein Wunder also, wenn wir bei der Anwendung dieser Techniken oftmals ganz unmeditativ nervös und aggressiv werden.

Vor zwei einhalb tausend Jahren gab es kein Fernsehen, kein Fax, kein Telefon, keinen Verkehrsstau, keinen Düsenlärm, keine Hektik. Die Menschen saßen nicht im Auto oder auf dem Bürosessel, sie mussten sich noch körperlich anstrengen. Deshalb konnten sie sich ohne Schwierigkeiten einfach hinsetzen, die Augen schließen und ihren Atem beobachten. Bei uns können das nur totale Phlegmatiker oder Leute, die sich mit moderneren Meditationstechniken auf die Vipassana vorbereitet haben.

Es gibt nur eine traditionelle Technik, die sich für den rastlosen Zivilisationsmenschen als Einstieg empfiehlt: Das sogenannte „Whirling“ – die Meditation der Sufis, eines mystischen Ordens des Islam. Whirling ist das, was die „tanzenden Derwische“ tun – sie drehen sich zu monotonen Melodien im Kreis, schnell, immer schneller, bis sie sich im Drehen sozusagen auflösen. Es gibt keine Gedanken mehr, nur noch die Drehung – bis zum Umfallen.

Zwei andere Meditationstechniken, die sich als Einstieg bewährt haben und deshalb in immer mehr Meditationskursen und Workshops praktiziert werden, sind relativ neu: die „Dynamische“ Meditation und eine Schüttelmeditation mit dem etwas esoterischen Namen „Kundalini“-Meditation. (Mit irgendwelchen Yoga-Kundalini-Übungen hat sie freilich nichts zu tun). Beide Meditationen sind, wie der Tanz der Derwische, Bewegungsmeditationen, wobei die „Dynamische“ körperlich intensiver ist und auch eine kathartische Phase hat und die Kundalini etwas sanfter und tänzerischer ist.

Warum dann nicht gleich beim Joggen und Tanzen in der Disco bleiben, wenn Bewegung für die Meditation offenbar so wichtig ist? Eigentlich spricht gar nichts dagegen: Joggen und Tanzen kann Meditation sein, wenn eine wichtige Komponente dazukommt: Bewusstheit – die wache, urteilsfreie, entspannte Selbstbeobachtung. Wenn sich Bewegung mit Bewusstheit verbindet, kann jeder Sport zur Meditation werden – Skilaufen, Tennis, Rollerskating, Schwimmen …

Die Dynamische Meditation, so könnte man sagen, ist Lotussitz und Disco-Dancing plus Bewusstheit. Man muss einfach total dabei sein, darin aufgehen, sich nicht ablenken lassen von Gedanken – total sein im Hier & Jetzt.

Die Dynamische Meditation dauert eine Stunde. Sie besteht aus fünf Phasen, die 10 bzw. 15 Minuten lang sind. Jede Phase wird von Musik begleitet und akzentuiert. Es ist wichtig, leichte und bequeme Kleidung zu tragen. Nach jeder Phase wechselt die Musik.

<link internal-link>Die Dynamische Meditation

<link internal-link>Die Kundalini-Meditation

Diese beiden Meditationen sind wegen ihrer starken physischen Komponente ein geradezu ideales Mittel gegen Stress. Das macht sie wohl auch so attraktiv, denn viele Menschen existieren am Rande ihrer psychischen Belastbarkeit: Beziehungskisten, Karrieresorgen, Verkehrsstaus, Geldprobleme, Terminnot, gefährdeter Arbeitsplatz, Umweltkatastrophen, Allergien, Einsamkeit, Angst und so weiter und so fort – und der Druck wächst weiter.

Alle wollen Stress abbauen. Aber mit körperlichem Workout ist es nicht getan. Nach dem Joggen schläft man vielleicht besser, aber das Problem, das den Stress verursacht, verschwindet nicht.

D ie Dynamische oder die Kundalini Meditation gehen einen Schritt weiter. Wenn wir ordentlich Dampf abgelassen haben, sind wir mehr in Kontakt mit unserem Körper – das Herz pocht, der Schweiß rinnt – und nicht mehr so stark identifiziert mit dem, was in unserem Kopf vorgeht. Beim Joggen ist das zwar auch so, aber in der Meditation können wir jetzt versuchen, von den Symptomen zur Wurzel der Probleme vorzustoßen. Die Methode erscheint einfach, ist aber gar nicht so leicht: beharrlich beobachten wir unsere Gedanken und unsere Gefühle.

So entsteht ein Abstand zu unserem Problem. Wir sind nicht mehr Opfer, sondern Beobachter. Die Perspektive verschiebt sich, und plötzlich sehen wir nicht nur, was uns angetan worden ist, sondern was wir selbst zu unseren Schwierigkeiten beitragen. Wenn das gelingt, ist es ein Quantensprung in unserem Bewusstsein! In einem Moment meditativer Klarheit kann man vielleicht sogar sehen, dass nicht das Problem das Problem ist, sondern unser eingeschränktes Bewusstsein.

Damit tritt man in eine Dimension ein, die weit über den Stressabbau hinausgeht: die spirituelle Dimension.

Erst wenn sich der Geist beruhigt und totale Entspannung eintritt, kann sich Meditation in ihrer wahren Bedeutung ereignen, vielleicht sogar ein Zustand den die Buddhisten „Satori“ oder „Nirwana“ nennen und die Hindus „Mokscha“. Meister Eckhart erfuhr es als eine „Verschmelzung mit Gott“, und der Atomphysiker Carl Friedrich von Weizsäcker sprach kürzlich in einem Interview mit dem STERN von einer „mystischen Erfahrung“, die ihm in Indien widerfahren ist und die er zu den wichtigsten Ereignissen in seinem Leben zählt.

Jeder, der ein Satori erlebt hat, beschreibt seine Erfahrung mit anderen Worten, aber alle sprechen von einer Verschmelzung mit der Existenz, mit dem Universum oder mit Gott. In diesem Zustand gibt es kein Sehnen und Hoffen, keine Zukunft und keine Vergangenheit, keine Erinnerung, keine Sorgen. Es gibt nur eine selig entspannte Klarheit im Hier & Jetzt.

Fast jeder von uns kennt solche Augenblicke: alles geht plötzlich so leicht und fügt sich wunderbar zusammen, die Bälle beim Tennis sitzen haargenau, die Skier laufen ganz von selbst und die Hand gleitet mühelos über das Papier und schreibt Gedanken und Gefühle auf, die offenbar von „oben“ kommen. Wir wachsen über uns hinaus, und es gibt keine Grenzen mehr.

Keine Routine mehr. Das Leben ist in jedem Augenblick neu aufregend und gewinnt eine Dynamik, in der kein Platz ist für Negativität, Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit. Wir nehmen unser Schicksal in die eigenen Hände.