Es geht uns gut

Überraschungen auf der Suche nach dem Positiven

von Jörg Andrees Elten

Die Themen liegen auf der Straße, aber wenn immer ich eins aufgreife und anfange, darüber nachzudenken, ziehen dunkle Wolken über dem Computerbildschirm auf.

Da sind zum Beispiel die schrillen Warnungen auf unseren Zigarettenschachteln. „Rauchen kann tödlich sein!“ heißt es da. „Rauchen lässt Ihre Haut frühzeitig welken! Rauchen verursacht Lungenkrebs! Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung schweren gesundheitlichen Schaden zu! Rauchen verkürzt Ihr Leben!

Ist es nicht wunderbar, dass die Tabakindustrie endlich die Hosen runter lässt und Farbe bekennt? Endlich mal ein positives Thema! Aber was passiert? Absolut NICHTS! Die Leute rauchen einfach weiter, Tendenz steigend! Plötzlich sind Zigarettenetuis wieder in Mode gekommen und schon gibt es Futurale , mit denen man seine Zigarettenpackung mit den blöden Aufschriften diskret zudecken kann.

Ist es nicht interessant, wie sich die Warnungen auf den Zigarettenschachteln und die Art und Weise, wie wir damit umgehen, zur Metapher für das Lebensgefühl unserer kulturellen Spätzeit verdichten? Genuss ohne Reue. Tatsachenverdrängung. Lust am Untergang. Masochismus. Todessehnsucht. Und natürlich geht es nicht nur um die Raucher. Auf die eine oder andere Weise sind wir doch alle süchtig. Süchtig nach Geld, Sex, Glück, Drogen, Entertainment, Ansehen, Süßigkeiten, schlechten Nachrichten und so weiter und so fort. Ja, wir leben im Zeitalter der Sucht.

Spätestens an diesem Punkt taucht die Frage auf: „Lohnt es sich darüber zu schreiben?“ Wenn Todeswarnungen verpuffen, wie Seifenblasen im Wind, wird auch ein Klartext in der Osho Times keinen Raucher zum Nichtraucher machen. Und was erreiche ich denn damit, wenn ich darauf aufmerksam mache, dass wir alle mit den Rauchern in einem Boot sitzen? Süchtigen kann man nicht mit gut gemeinten Ratschlägen helfen. Man kann ihnen nur die Laune damit verderben.

Ich selbst bin süchtig nach negativen Nachrichten. Ich kann stundenlang im Internet surfen, um meine düsteren Zukunftsvisionen bestätigt zu finden. Am liebsten lese ich kritische Artikel über meinen Lieblingsfeind G.W. Bush. Ich freue mich darüber, wenn der Kerl mit seiner verlogenen Scheinheiligkeit entlarvt wird. Artikel, in denen er gelobt wird, lese ich nicht zu Ende. Die ärgern mich. Und ich drücke die Daumen, dass Osama bin Laden seinen amerikanischen Häschern wenigstens in diesem Jahr nicht ins Netz geht. Denn wenn der Terroristenhäuptling vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl im November erwischt werden sollte, wäre Bushs Wiederwahl so gut wie sicher und er könnte weitere vier Jahre lang sein Unwesen treiben. (Andererseits könnte man natürlich argumentieren, eine zweite Amtszeit des kriegslüsternen Pappkameraden sei notwenig, damit das Pendel der Negativität noch weiter ausschlägt und dabei jene Energie aufbaut, die für einen entsprechend starken  Ausschlag ins Positive und damit für eine grundlegende Wende zum Guten notwendig ist. Aber das wäre Spekulation, vielleicht sogar Selbsttäuschung). 

Wo bleibt das Positive? Ich würde es gerne entdecken. Aber das Positive ist nicht dort zu finden, wo ich es gerne finden würde – in der Politik, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Kultur. Auch in der so genannten Esoterik-Szene, wo manche Optimisten spirituelle Transformationskräfte vermuten, kann ich nichts Positives entdecken. Tut mir leid.  

Natürlich habe ich nichts davon, wenn ich mich so viel mit den Problemen unserer Zeit beschäftige. Es macht mir schlechte Laune und es kostet Energie. Manchmal lege ich die Zeitung weg, höre mit dem Surfen im Internet auf, schalte den Fernseher aus. Es reicht! Ich will mit dieser ganzen Negativität nichts mehr zu tun haben! Und ich will mir nicht einbilden, dass ich in der schlimmsten Epoche lebe, die es in der Geschichte der Menschheit je gegeben hat. Tatsache ist, dass es in der Welt schon immer grauenhaft zugegangen ist.

In solchen lichten Momenten gehe ich gern an die frische Luft. Mache einen Spaziergang am Meer, freue mich über die majestätische Grazie der Schwäne, die lautlos über das stahlblaue Wasser gleiten. Füttere die Möwen, die in abenteuerlichen Sturzflügen auf mich nieder kommen und mir die Brosamen aus den Händen schnappen. Ziehe die Mütze tief in die Stirn, wenn der Wind auffrischt und genieße die prickelnde Kälte auf meinen Wangen.

Überall wütet Chaos und Gewalt und ich entdecke, dass es mir gut geht! Ich fühle mich frei in der Weite der Natur, ich spüre meinen Atem, meinen Herzschlag und die Kraft, die durch meine Adern fließt. Ich bin gesund. Ich weiß, dass ich ein Dach über dem Kopf habe. Und wenn ich wieder zu Hause bin, finde ich etwas zu Essen im Kühlschrank. Ich habe ein paar Euros in der Geldbörse und ein paar Liter Benzin im Tank. Was will ich mehr?

Manchmal besuche ich meinen Freund Heinz, den alten Dorfschmied. Bis vor drei Wochen war er mein Nachbar. Aber dann kam eines Morgens ein Behindertenbus und holte ihn ab. Im Altenheim in Wismar war ein Zimmer frei geworden, und Heinz zog um. Bisher hatte er allein gewohnt in einer kleinen Bude mit Kachelofen und Fernseher. Seine Tochter kam zweimal am Tag, brachte das Essen und räumte auf. Aber mit der Zeit verschlechterte sich sein Zustand.

Heinz sitzt im Rollstuhl, weil man ihm ein Bein amputiert hat. Das andere Bein macht jetzt auch Beschwerden: Durchblutungsstörung und offene Entzündung. Die Ärzte wollen ihm nun auch das zweite Bein amputieren, aber Heinz will nicht. Auch wenn das Bein schmerzt, meint er, kann er sich doch damit abstützen, wenn er vom Rollstuhl ins Bett will oder aufs Klo. Also versucht er, sich an die Schmerzen zu gewöhnen.

„Gefällt es dir denn hier im Heim besser?“, frage ich ihn, als ich ihn zum ersten Mal in Wismar besuche. „Och“, sagt Heinz und schiebt sich die Schirmmütze ins Genick. „Was heißt besser? Ich bin hier gut versorgt und für die Christa ist es doch besser, wenn sie nicht jeden Tag kommen muss. Die hat doch schon genug um die Ohren.“ Seine Tochter Christa wollte gar nicht, dass er ins Heim geht, aber er wollte ihr einfach nicht länger zur Last fallen.

„Hier ist nun die Endstation“, sagt Heinz und schaut sich in seinem kleinen Zimmer um – ein Bett, ein Spind, ein Nachttisch und der Fernseher. Auf dem Nachttisch hat er ein Foto von seiner Frau aufgestellt. Daneben ein Foto, das ihn in der Uniform eines Fallschirmjägers zeigt. Er war ein flotter Typ und seine Frau hat ein liebes Gesicht. Vor Jahren ist sie an Krebs gestorben. 

„Mein Leben ist gelebt“, sagt Heinz ohne Bitterkeit. „Es gibt keine Zukunft mehr.“

„Gibt es etwas, was du in deinem Leben bereust?“ frage ich ihn. Er überlegt und zieht die Stirn in Falten. „Ich hatte eine gute Frau“, sagt er. „Manchmal denke ich, dass ich nicht gut genug zu ihr war. Aber das ist nur so ein Gedanke. Kein Mensch ist vollkommen.“

„Wenn du so zurückdenkst – würdest du dein Leben noch einmal so leben, wie du es gelebt hast?“ frage ich ihn. Und Heinz antwortet ohne zu zögern. „Ja, absolut! Ich hatte kein leichtes Leben. Solange ich zurückdenken kann, gab es nur Arbeit. Harte Arbeit. Schon als Kind. Früh morgens ging es los und abends spät hörte der Tag auf. Aber wir hatten immer Spaß dabei. Sogar im Krieg und danach auch, in der DDR Zeit. In der SED war ich nicht. Musste ja auch nicht sein. Ging auch ohne. Die haben mich in Ruhe gelassen und ich sie auch.“

„Und wie ist es jetzt?“

Heinz rückt sich im Rollstuhl zurecht. Das Sitzen tut ihm weh und strengt an. „Ich will nicht klagen“, sagt er bedächtig. „Da würde ich mich ja direkt versündigen. Es gibt viele, denen geht es viel schlechter als mir. Ich bin zufrieden mit dem, was ist. Schon immer war das so. Deshalb ist es mir auch immer gut gegangen, verstehst du?“

© Jörg Andrees Elten