Global Warming und der Genuss ohne Reue

Es war ein Jahrhundert-Sommer. Jeder Tag ein Fest. Frühstück in der Morgensonne. Mit dem schnurlosen Telefon und dem Notebook in der Hängematte. Siesta im Schatten der Weiden. Am frühen Abend mit dem Rad nach Boltenhagen zum Strand. Urlaubsbetrieb. Alle Strandkörbe besetzt. Das Meer ganz sanft. Kinder plantschen im Wasser, bauen Sandburgen, blasen Schwimmtiere auf. Junge Pärchen schmusen im Schatten von „Kuschelmuscheln“.

Im Ort gibt es Verkehrsstau und Parkplatznot. Viele Bewohner aus dem Hinterland sind dieses Jahr nicht verreist. In den Ferien kommen sie jeden Tag mit dem Auto zum Strand und fahren abends wieder nach Hause. Tausende kommen mit Fahrrädern auf dem Autodach aus West- und Süddeutschland angereist und entdecken, dass es an der Ostsee genau so schön sein kann, wie in der Karibik.

Wochenendbesuch aus Berlin. Simon, BWL-Student, sagt: „Wenn 'Global Warming' so aussieht, dann finde ich das eigentlich ganz toll!“ Keiner wollte so recht darüber lachen. Aber das Wort Global Warming war gefallen und je mehr wir darüber sprachen, desto schwerer fiel es uns, das sagenhafte Wetter einfach als Geschenk des Himmels anzunehmen. Alle waren wir uns der perversen Situation bewusst, dass wir zur sensationellen Schönwetterlage beitragen, indem wir mit unseren Autos die Luft verpesten.

Und schon ging der Streit um das Auto los. Karin, Fußgängerin aus Überzeugung und umweltbewusst bis auf die Knochen, wurde richtig wütend: „Ihr bildet euch doch nur ein, dass ihr unbedingt Auto fahren müsst. Es gibt nichts, was man nicht auch mit dem Rad oder mit der Bahn machen könnte.“

„Ohne Auto wäre ich total aufgeschmissen!“ widersprach ich. Und als Karin genau wissen wollte, wieso, hatte ich keine Lust, mich zu rechtfertigen. Was ging es sie schon an, dass ich auf dem Weg zu Seminarorten nicht mit vier Koffern voller Workshoputensilien in Regionalzügen und im ICE reisen kann? Oder dass ich bei strömendem Regen nicht acht Kilometer mit dem Rad fahren will, um mein tägliches Brot beim Bäcker zu kaufen?

Im Lande der Autofanatiker und des Michael Schumacher, gibt es – wen kann es wundern? –  auch die rabiatesten Autofeinde. Manche tun sich mit einem moralischen Hochmut hervor, der auf die Nerven gehen kann. Auf Ökofanatismus reagiere ich allergisch. Vielleicht kommt es daher, dass ich mich – wenn ich mit dem Auto nach Hamburg fahre – jedes Mal darüber ärgere, dass die Grünen in Schleswig Holstein seit zehn Jahren die Autobahnverbindung zwischen Rostock und Hamburg sabotieren. Der gesamte norddeutsche Ost-West-Verkehr zwängt sich seit der Wende über die B 105, die gefährlichste Bundesstraße der Republik, macht das Leben von zigtausenden von Anrainern zur Hölle, führt jeden Tag zu verheerenden Verkehrsunfällen, hat schon hunderten von frustrierten Autofahrern das Leben gekostet. Und ich mitten drin.

Erst vor zwei Jahren entschied das Bundesgericht in Karlsruhe, dass das letzte Teilstück von fünf Kilometern endlich gebaut werden darf – auf Betonstelzen, weil in dieser Gegend ein seltener Vogel nistet. Macht das Sinn? Haben die Grünen noch alle Tassen im Schrank? Glauben sie denn im Ernst, dass wir im Fernsehen nicht sehen können, wie ihre Spitzenpolitiker sich in den schwarzen Dienstlimousinen der S-Klasse durch die Gegend chauffieren lassen? Und natürlich beim Tanken keine Ökosteuer zahlen, weil der Steuerzahler ihre Dienstwagen betankt. 

Ich halte es mit Buddhas Goldener Mitte. Einen Feldzug gegen das Auto zu führen, finde ich extrem und naiv. Denn es gibt zum Auto keine Alternative. Natürlich finde ich es nicht so toll, dass mein Skoda die Luft verpestet. Ich benutze ihn nur, wenn es nötig ist. Trotzdem geht es mir so wie vielen umweltbewussten Leuten: Ich fühle mich in der Rolle eines Autofahrers nicht wohl. Gibt es denn wirklich keine Möglichkeit, mich in dieser verrückt gewordenen Zivilisation so zu verhalten, dass ich meiner Umwelt und anderen Menschen nicht schade?

Es geht ja nicht nur ums Autofahren. Wenn ich zum Beispiel ein Pfund Kaffee für 5 Euro kaufe, dann haue ich praktisch Millionen armer Kaffeebauern in Afrika und Lateinamerika übers Ohr. Seit 50 Jahren zahlen wir ihnen für ihren Kaffee den gleichen Preis, „weil der Markt nicht mehr hergibt“, wie die Experten sagen. Aber die Wasserpumpen und die anderen Industriegüter, die wir ihnen aufdrängen, haben ihren Preis in diesen 50 Jahren mehr als verzehnfacht. Das ist Ausbeutung! Und ich bin dabei, ob ich will oder nicht.

Bewusst oder unbewusst macht mir das ein schlechtes Gewissen. Aber wem ist damit geholfen? Es gibt an der Basis der Grünen viele radikale Umweltfanatiker, die ihr schlechtes Gewissen mit hochmütiger moralischer Rigidität kompensieren und jeden Ökosünder, besonders die Autofahrer mit erhobenem Zeigefinger zurechtweisen, anstatt sich Lösungen einfallen zu lassen, die nach vorne gerichtet sind und sich politisch durchsetzen lassen. Ihre Forderung nach dem „Fünf Mark Benzin“ hat vor ein paar Jahren Millionen von Autofahrern auf die Palme gebracht und war letztlich weiter nichts, als ein politisches Selbstmordattentat gegen die eigene Partei. 

Der Mensch hat einen angeborenen Drang nach Mobilität. Seit vielen Jahrtausenden will er sich schneller und weiter fort bewegen, als es die eigenen Beine zulassen. Vom Pferd zur Kutsche zur Eisenbahn, zum Auto, zum Flugzeug. die Mobilität entwickelt sich mit der Gewalt eines Naturereignisses. Je emanzipierter und individualistischer der Mensch ist, desto unwiderstehlicher ist sein Bedürfnis, frei und spontan selbst gewählte Ziele anzusteuern. Ein Angriff auf das Auto kommt somit einem Angriff auf die Freiheit gleich – jedenfalls empfinden das 40 Millionen Führerscheininhaber in Deutschland so.

Die Lösung kann also nicht darin liegen, das Auto abzuschaffen oder nur noch die Reichen Auto fahren zu lassen. Wir brauchen einen bewussteren Umgang mit unserer Mobilität und vor allem brauchen wir andere Autos.

Es ist mir vollkommen unverständlich, warum die Grünen nicht schon vor zehn Jahren auf die ebenso nahe liegende, wie vernünftige Idee gekommen sind, einen Feldzug für das Brennstoffzellen-Auto, zu führen. Diese völlig abgasfreien Vehikel sind seit zehn Jahren kein unlösbares technisches Problem mehr. Und schon seit fünf Jahren existieren Autos und LKW's ,  die von Brennstoffzellen angetrieben werden, als Testfahrzeuge. Die Autoindustrie zögert. Warum? Wenn wir vermuten, dass die Lobby der internationalen Erdölkonzerne dahinter steckt, liegen wir wahrscheinlich nicht ganz falsch.

 Wenn die Grünen die Industrie schon vor zehn Jahren mit der ultimativen Forderung konfrontiert hätten, das Auto und den LKW mit dem Brennstoffzellenantrieb endlich aus den Testlabors in die Massenproduktion zu hieven, würden sie heute nicht eine bescheidene Rolle als Juniorpartner in der Regierung spielen. Sie könnten den Bundeskanzler stellen. Nicht nur die Autofahrer, das ganze Wahlvolk hätten die Grünen mit einer aggressiven Kampagne für das Brennstoffzellen-Auto hinter sich bringen können. Und wenn sie gleichzeitig mit Hilfe smarter Werbeagenturen einen Propagandafeldzug für das Fahrrad in Szene gesetzt hätten, wäre der ökologische Effekt noch größer gewesen. Weniger Herzinfarktpatienten, und das abgasfreie Auto hätte unsere Straßen längst erobert.

Die Fantasielosigkeit der Ökoaktivisten enthebt uns natürlich nicht unserer eigenen Verantwortung. Wir leben mit unserer „ Celebration-Kultur „ nicht auf einer Insel der Seligen, sondern sind eingebunden in das Netz vielfältiger sozioökonomischer Bezüge. Unser Umfeld beeinflusst unser Leben. Aber wir haben auch die Chance, unser Umfeld zu beeinflussen.

Viel Spielraum gibt es freilich nicht. Aber große Fortschritte kommen oft durch die Summe vieler kleiner Schritte zustande. Vielleicht sollten wir damit anfangen, uns umfassender über die Welt, in der wir leben, zu informieren. Vielleicht entdecken wir im Internet Aktionsgruppen, die wir gerne unterstützen wollen. Vielleicht können wir uns um einen alten behinderten Nachbarn kümmern. Vielleicht haben wir Lust, mit arbeitslosen Teenagern zu arbeiten. Es gibt tausende von unspektakulären Möglichkeiten, uns abseits von Parteipolitik einzubringen und aus unseren Erfahrungen Impulse für unser eigenes Wachstum zu gewinnen.

Die Arbeit an uns selbst ist, wie wir wissen, ein Prozess ohne Ende und eine tägliche Herausforderung. Eine dieser Herausforderungen besteht darin, im Irrenhaus dieser Welt bei Sinnen zu bleiben – zentriert, aufmerksam, realistisch, gelassen und ohne schlechtes Gewissen.

Im Englischen gibt es den schönen Spruch: „ Guilt sucks „ – Schuldgefühle kosten Kraft. Brauchen wir nicht all unsere Kraft, um Schwung in unser Leben zu bringen? Um lebendig und kreativ zu sein?

Global Warming ? Wenn die Sonne scheint, wollen wir sie genießen – ganz entspannt im Hier und Jetzt.

© Jörg Andrees Elten