Lebendigkeit ist der Schlüssel

Jörg Andrees Elten im Gespräch mit der „Osho Times“ über seine Schreib-Gruppen

Osho Times: Kann man in deinem Creative-Writing-Workshop lernen, wie man einen Bestseller schreibt?

Elten: Aber ja! Allerdings kann ich den Verleger nicht aus dem Hut zaubern, der aus einem Bestsellermanuskript auch einen Bestseller macht. Denken wir doch bloß mal daran, wie lange Joanne Rowling mit ihrem ersten Harry Potter Manuskript unter dem Arm bei zahllosen Verlagen die Klinken geputzt hat, bis sie schließlich einen Verleger fand.

OT: Was sind denn die Kriterien eines Bestsellermanuskripts?

Elten.: Lebendigkeit! Das ist das Hauptkriterium. Was lebendig ist, ist immer interessant.

OT: Soll das heißen, dass jeder einen Bestseller schreiben kann, wenn er energetisch gut drauf ist?

Elten: Natürlich nicht. Das handwerkliche gehört dazu. Aber Stilgefühl, Wortreichtum und so weiter und so fort nützen überhaupt nichts, wenn die Autorin oder der Autor eine Schlafmütze ist. Ich versuche also, die Teilnehmer munter zu machen. Ich appelliere an ihren Mut. An ihren Mut, total zu sein und sich so zu zeigen, wie sie sind. Keine Verstellung, keine Masken. Wir riskieren etwas und haben auch keine Angst davor, uns zu blamieren.

OT: Das hört sich ja wie eine Therapiegruppe an.

Elten: Schreiben ist für die meisten Schreiber Eigentherapie. Unzählige große Autoren haben beim Schreiben ihre Neurosen verarbeitet und dabei Weltliteratur produziert.

Aber ich möchte jetzt mal vom Bestseller weg kommen. Wer mit einem Buch einen Haufen Geld machen will, richtet sich unwillkürlich nach dem, was auf dem Markt gerade gut läuft. Er entfernt sich von sich selbst und verwandelt sich in eine programmierte Schreibmaschine. Davor warne ich meine Gruppenteilnehmer.

OT: Der Erfolg eines Manuskripts ist dir nicht so wichtig?

Elten: Ich freue mich natürlich, wenn sich meine Bücher gut verkaufen. Aber der Prozess des Schreibens ist wichtiger, als der kommerzielle Erfolg. Der Weg ist das Ziel.

OT: Die Meister fallen nicht vom Himmel. Welchen Stellenwert hat das Handwerkliche?

Elten: Das kommt natürlich gleich nach der Lebendigkeit. Wie jede andere Kunst, will auch das Schreiben fleißig gelernt und geübt sein. Im Laufe vieler Jahre habe ich in meinen Workshops gelernt, dass Stil, scharfe Beobachtungsgabe, Präzision des Ausdrucks, Spannungsaufbau und so weiter und so fort, in einer spielerischen Atmosphäre am schnellsten gelernt werden. Wir schaffen also erst mal eine entspannte Gruppendynamik und wachsen schon in den ersten Stunden zu einer kreativen Familie zusammen. Wir sitzen nicht an Tischen, sondern machen es uns auf dem Boden bequem. Wir schreiben im Liegen, auf der Fensterbank oder meinetwegen auch an einem Tisch, wenn's sein muss. So kommen Erinnerungen an die stressige Schulzeit gar nicht erst auf – Erinnerungen an Zensuren, rote Tinte und Nachsitzen. Wenn das passiert, verwelkt Kreativität wie eine Blume, die in eine Gletscherspalte fällt.

OT: Keine Zensuren also. Aber ohne Kritik geht es sicher nicht?

Elten: Jeder Künstler braucht den Kritiker. Das ist klar. Ich ermuntere also die Teilnehmer, ihre Texte vorzulesen und das kritische Feedback der Gruppe als Geschenk anzunehmen. Natürlich gebe ich auch professionelles Feedback. Aber jeder in der Gruppe ist Leser und kann beurteilen, was echt oder unecht, spannend oder langweilig ist. Die liebevolle Interaktion der Teilnehmer ist ebenso wichtig, wie meine Expertise. Es gehört Mut dazu, sich vor der Gruppe mit seinem Text zu exponieren und verletzbar zu machen, zumal es ja manchmal auch um Texte geht, die emotional stark aufgeladen sind.

OT: Eine ganz schöne Horrorvorstellung!

Elten: So schlimm ist es nun auch wieder nicht! Wir ätzen nicht mit unserer Kritik. Wir helfen uns gegenseitig und bauen uns auf. Manchmal lernt man aus misslungenen Texten am meisten. Deshalb ist jeder Beitrag wichtig – er kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen. Ich meine das ganz ernst: nur wenn wir Vertrauen entwickeln und unser Ego nicht so wichtig nehmen, können wir wirklich kreativ sein. Und je lockerer die Gruppe drauf ist, desto mehr Spaß haben wir.

OT: Du hast eine lange Erfahrung als Schriftsteller, als Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ und als „Stern“- Autor. Was kannst du von dieser Erfahrung an die Gruppe weitergeben?

Elten: Jede Menge. Bei der SZ habe ich als 20-jähriger Reportageschreiber gelernt, präzise zu beobachten und bildhaft zu schreiben. Beim „Stern“ gab es den Ehrgeiz, so zu schreiben, dass der Universitätsprofessor den Text interessant findet und die Putzfrau ihn verstehen kann. Mein damaliger Chefredakteur Henri Nannen wurde einmal im Fernsehen gefragt, was eine typische „Stern“ - Geschichte sei. „Sie fängt mit einem Erdbeben an“, sagte er, „und steigert sich dann langsam.“

OT: Stressfrei ist es beim „Stern“ sicher nicht zugegangen?

Elten: Ich kann mich an keinen stressfreien Tag beim „Stern“ erinnern. Stress ist das Kreuz, das Journalisten zu tragen haben. Viele brechen darunter zusammen.

OT: Kann Stress nicht auch ein kreativer Ansporn sein?

Elten: Für einige vielleicht. Aber im allgemeinen ist Stress kreativitätshemmend. In meinen Gruppen vermeide ich Leistungsdruck. Wir wollen nicht unseren Ehrgeiz befriedigen, sondern die hohe Kunst des Geschehenlassens lernen. Denn nur in einem Zustand des Geschehenlassens und der Hingabe öffnet sich der Zugang zu unserem kreativen Zentrum. In diesem Zustand schreiben viele Gruppenteilnehmer Texte, die sie total überraschen: „Was, das habe Ich geschrieben?“. Zum ersten Mal schreiben sie nicht so, „wie man schreibt“, sondern so, wie sie sind. Sie haben ihre Masken fallen lassen und entdecken ihre ganz eigene Handschrift. Wenn das geschieht, bin ich glücklich.